Hinsehen, immer wieder hinsehen und den Blick schärfen!

Der Künstler Marcus Barwitzki (Mitte) mit Workcampteilnehmern aus Aserbaidschan (Rauf) und Spanien (Pablo).

Der Künstler Marcus Barwitzki (Mitte) mit Workcampteilnehmern aus Aserbaidschan (Rauf) und Spanien (Pablo).

„Das eine ist, dem Häftling wieder ein Gesicht zu geben, das zweite die Herausbildung einer persönlichen Handschrift. Wir wollen den Blick schärfen”, umreißt der Künstler Marcus Barwitzki, das Ziel seiner Arbeit mit Jugendlichen im Kunstworkshop beim 21. Internationalen Workcamp.

Der Workshop „Die Gesichter des KZ Wöbbelin“ mit Barwitzki, freier Künstler aus Magdeburg, und mit Unterstützung von Steffen Ahrens von der Kunsthochschule Burg Giebichenstein, Halle war Teil des 21. Internationalen Workcamps der Mahn- und Gedenkstätten. Dreizehn Jugendliche, hauptsächlich Studenten, aus neun Nationen, von Taiwan, Südkorea, Mexiko bis Aserbaidschan und Deutschland verbrachten gemeinsam zwei Wochen in Wöbbelin. Getragen wird das Internationale Workcamp vom Verein „Service Civil International“ e. V. (SCI), der internationale Jugendprojekte organisiert und dem Förderverein der Mahn- und Gedenkstätten Wöbbelin. Unterstützung erfährt es durch den Landkreis Ludwigslust-Parchim und die Landeszentrale für politische Bildung M-V.

In der ersten Woche lernten die jungen Leute die Gedenkorte zwischen Wöbbelin und Ludwigslust kennen. Die Jugendlichen pflegten die Gräber der KZ-Häftlinge am Museumsgebäude der Mahn- und Gedenkstätten Wöbbelin und verbreiterten den Rundweg durch das ehemalige Lagergelände des KZ Wöbbelin an der B 106. Sie befassten sich mit Häftlings-Biografien und lernten den Überlebenden Erich Kary aus Ludwigslust kennen. die Konzentrationslager Auschwitz, Mittelbau-Dora, Ravensbrück und Wöbbelin überlebte.

Eine Exkursion führte zu den Cap Arcona-Gedenkstätten in Grevesmühlen und Groß Schwansee.

Höhepunkte waren der Besuch der Jüdischen Gemeinde in Schwerin und das Gespräch mit dem Landesrabbiner Dr. William Wolff. Im Landtag erhielten die Workcamp-Teilnehmer/innen und erfuhren im Gespräch mit dem SPD- Landtagsabgeordneten Julian Barlen von dem Projekt Storch Heinar und der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus in der Gegenwart.

Gulnara Pazylova aus Kirgisien zeigt stolz den von ihr geschaffenen Backstein-Kopf. Sie kam nach Deutschland, um den Spuren ihres Urgroßvaters zu folgen, der während der NS-Zeit im Konzentrationslager war.

Gulnara Pazylova aus Kirgisien zeigt stolz den von ihr geschaffenen Backstein-Kopf. Sie kam nach Deutschland, um den Spuren ihres Urgroßvaters zu folgen, der während der NS-Zeit im Konzentrationslager war.

Anliegen des Internationalen Camps ist es, Jugendliche zu motivieren, sich mit der Geschichte des Nationalsozialismus und der aktuellen Entwicklung des Rechtsradikalismus auseinanderzusetzen. Die zweite Campwoche füllte der Kunstworkshop aus. Die Jugendlichen geben den KZ- Häftlingen ein Gesicht. Nach Fotos gestalteten sie mit Kohlestiften jeweils ein Portrait, das die Grundlage für einen „Backstein-Kopf“ bildet. Sie lernten die hohe Kunst, ein Gesicht aus Ton herauszuschneiden. „Dazu muß man hinsehen, immer wieder hinsehen“, so der Künstler Barwitzki. Keiner der Teilnehmer hatte bisher mit Kohle gezeichnet oder plastisch gearbeitet.

Auch die Schülerinnen der Regionalschule Grabow verfügten über keine künstlerische Erfahrung. „Die 9. Klasse hatte im Juni an einem Projekttag in den Mahn- und Gedenkstätten teilgenommen und sechs Schülerinnen entschlossen sich spontan, beim Kunstworkshop mitzumachen“, Ramona Ramsenthaler, die Leiterin der Gedenkstätten. Künstler Barwitzki zollt den Arbeiten hohe Anerkennung: „Die Resultate sind sehr, sehr außerordentlich.“

Die Teilnehmer des 21. Internationalen Workcamps stellen die Ergebnisse ihrer zweiwöchigen Arbeit vor.

Die Teilnehmer des 21. Internationalen Workcamps stellen die Ergebnisse ihrer zweiwöchigen Arbeit vor.

Ausstellungen über Konzept und Ergebnisse des Kunstworkshops „Die Gesichter des KZ Wöbbelin“ sind gegenwärtig nicht nur Wöbbelin, sondern auch im Schweriner Landtag und in der Schule in Picher zu sehen. Die Backstein-Köpfe müssen nun sechs Monate trocknen und werden dann in einer Ziegelei gebrannt. Die Kosten dafür betragen 30 € je Kunstwerk. Es besteht die Möglichkeit, eine Patenschaft für einen „Kopf” zu übernehmen. Zwei Besucher der Gedenkstätte entschlossen sich bereits spontan dazu.

Die Jugendlichen des Internationalen Workcamps fahren mit vielen Eindrücken nach Hause. Der Höhepunkt aber war das Gespräch mit dem Ludwigsluster Erich Kary: ”Wir waren alle tief beeindruckt, sehr bewegt vom Gespräch mit dem KZ-Überlebenden“, resümiert die Studentin Aylin Kortel aus Frankfurt/Main.