Internationale Begegnung der Generationen 2015
Gedenken an die Befreiung der Konzentrationslager vor 70 Jahren
Im Mai 2015 jährten sich zum 70. Mal die Befreiung des Konzentrationslagers Wöbbelin und die Befreiung vom Nationalsozialismus. Aus diesem Anlass luden der Verein Mahn- und Gedenkstätten im Landkreis Ludwigslust-Parchim e.V. und der Förderverein der Mahn- und Gedenkstätten Wöbbelin e.V. vom 30. April bis zum 3. Mai 2015 zur Internationalen Begegnung der Generationen ein.
Gespräche mit Zeitzeugen und Angehörigen
Bereits am 29. April war Alie Zwinderman aus den Niederlanden zu Gast an der Lindenschule Lübtheen und sprach über das Schicksal ihrer Familie. Ihr Vater Jans Zwinderman war nach der Befreiung im Lazarett in Lübtheen an den Folgen der KZ-Haft gestorben. Am 30. April fanden an Schulen in Ludwigslust, Hagenow, Parchim und Rastow Gespräche mit Überlebenden der Konzentrationslager Wöbbelin, Neustadt-Glewe und der Todesmärsche sowie mit Angehörigen statt. Insgesamt nahmen mehr als 300 Schülerinnen und Schüler an den Gesprächen teil. Im Rahmen der Begegnung präsentierten einige Projektgruppen den internationalen Gästen auch ihre Forschungsergebnisse zur Regionalgeschichte.
Gedenken an der Gedenkstätte in Sülstorf und am Ehrenfriedhof in Wöbbelin
An das Leiden der Opfer wurde in den Gedenkveranstaltungen an verschiedenen historischen Orten, die mit der Geschichte des KZ Wöbbelin zusammenhängen, erinnert. Am 1. Mai sprachen um 13:30 Uhr an der Gedenkstätte in Sülstorf der Bürgermeister Horst Busse, Wolfgang Ehlers vom Förderverein der Mahn- und Gedenkstätten und der Landesrabbiner Dr. Wolff zum Gedenken an die Opfer. Der Zug aus dem KZ Helmstedt-Beendorf stand vom 13. bis 15. April 1945 auf dem Abstellgleis des Bahnhofes Sülstorf, bevor die männlichen Häftlinge in das KZ Wöbbelin gebracht wurden. Seit 1951 erinnert gegenüber vom Bahnhof ein Gedenkstein der Jüdischen Landesgemeinde an die Opfer dieses Transportes, die in diesen drei Tagen gestorben sind. Die Gemeinde hat mit der Neugestaltung der Gedenkstätte begonnen, in den nächsten Monaten werden die gärtnerischen Arbeiten fortgesetzt und Informationstafeln aufgestellt.
Mehr als 300 Gäste besuchten im Laufe des Tages die Mahn- und Gedenkstätten Wöbbelin. In mehreren Führungen wurde die seit August 2014 eröffnete neue Dauerausstellung den Besuchern vorgestellt. Besonders für die Ehrengäste, die ehemaligen Häftlinge und die Familienangehörigen, der Opfer waren es ein bewegende Momente, die Fotos, Dokumente und Filmaufnahmen vom ehemaligen Lagergelände und zur Geschichte des Konzentrationslagers, aber auch die Biografien zu sehen.
Zur Gedenkveranstaltung um 17 Uhr begrüßte die Bürgermeisterin der Gemeinde Wöbbelin Viola Tonn die internationalen Gäste. Die Vorsitzende des Fördervereins, Dr. Carina Baganz hob in Ihrer Rede hervor, dass sie dankbar ist, „dass auch in diesem Jahr Überlebende der Konzentrationslager und ihre Angehörigen unserer Einladung gefolgt sind und sich auf den Weg hierher gemacht haben, um der Opfer des Konzentrationslagers Wöbbelin zu gedenken und uns ihre Erinnerungen mitzuteilen. Niemand von uns kann sich vorstellen, was in jedem einzelnen von ihnen vorgeht, wenn sie an den Ort zurückkommen, wo sie so unmenschlich behandelt wurden oder wo sie ihren Bruder, Vater oder Großvater verloren haben.“ Die Mahn- und Gedenkstätten Wöbbelin haben mit der neuen Ausstellung den Opfern ein Gesicht gegeben. Zu den Zeitzeugen , die die Erarbeitung der Ausstellung begleiteten und ebenso die jahrelange Erinnerungsarbeit unterstützt haben, gehörten Erich Kary aus Deutschland und Victor Malbecq aus Belgien, die im Juli 2014 bzw. März 2015 verstorben sind. Carina Baganz erinnerte an ihr unermüdliches Wirken gegen das Vergessen und für die Bildungsarbeit der Mahn- und Gedenkstätten Wöbbelin. Marc Kenens, Sohn eines ehemaligen Häftlings und Vertreter der belgischen Amicale, dankte den Anwesenden:
„Im Namen von Victor Malbecq und im Namen meines Vaters danke ich Ihnen für die Ehrfurcht, den Respekt und die Wertschätzung, mit der Sie uns jedes Mal empfangen. Im Namen dieser beiden sowie vieler anderer Schicksalsgenossen reiche ich Ihnen die Hand, um gemeinsam weiter für Frieden und Toleranz einzutreten, damit wir insbesondere in diesen schwierigen Zeiten, in denen die Kriegsgewalt hinter jeder Ecke lauert, gemeinsam für eine menschenwürdige und respektvolle Welt wetteifern können, in der alle Menschen gewürdigt und respektiert werden.“
Neue Denkmalanlage am Ehrenfriedhof in Wöbbelin
Im Anschluss weihte die Mecklenburger Künstlerin Dörte Michaelis die neue Denkmalanlage am Ehrenfriedhof Wöbbelin symbolisch ein. Schülerinnen und Schüler der Freien Schule Güstrow, die die Gedenkveransatltung musikalisch umrahmten, verlasen die Namen der Opfer. Die Anlage besteht aus 82 Namenssteinen von Häftlingen, die vom 17. Februar bis 24. März 1945 im KZ Wöbbelin umgekommen sind. 85 Steine ohne Namen erinnern zudem an unbekannte Opfer, die hier auf dem Ehrenfriedhof beerdigt sind. Sie stehen für die letzten 70 Opfer des KZ Wöbbelin, die am 8. Mai 1945 auf Befehl der amerikanischen Militärbehörden dort bestattet wurden, und 15 Opfer, die 1951 in einem weiteren Massengrab auf dem Gelände gefunden wurden. Die geschaffene Klinkeranlage bildet ein Pendant zum 2005 und 2006 ebenfalls von Dörte Michaelis geschaffenen Denkmal am ehemaligen Lagergelände.
Zum Abschluss des Tages präsentierten Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Fridericianum Schwerin das Theaterprojekt „Anne Frank“ in der Stadthalle in Ludwigslust. Parallel konnte die Begleitausstellung „Ein Reich – zwei Leben. Anne Frank und Winfried Petersen“ besichtigt werden. Der Abend endete mit Gesprächen zwischen den Generationen.
Ökumenischer Gottesdienst und zentrale Gedenkfeier
Am Tag der Befreiung des KZ Wöbbelin, dem 2. Mai, predigten im Ökumenischen Gottesdienst in der Ev. – Lutherischen Stadtkirche Dr. Andreas von Maltzahn, Bischof im Sprengel und der katholische Weihbischof Norbert Werbs. Sie erinnerten an das Leiden der Opfer des KZ Wöbbelin und mahnten für Gerechtigkeit, Versöhnung und Gewaltfreiheit einzutreten.
Im Rahmen des Gottesdienstes spielten Johanna Mill und Danilo Volpyansky vom Konservatorium Schwerin in einer Erstaufführung das Triptychon für Klavier und Querflöte des Überlebenden Janusz Kahl aus Polen. Er war vom 23. März bis zum 2. Mai 1945 im KZ Wöbbelin inhaftiert. Herr Kahl studierte Klavier und Komposition. 1959 komponierte er das Triptychon für Klavier und Querflöte. In seiner Rede bei der zentralen Gedenkfeier an der KZ-Gedenkstätte ehemaliges Lagergelände schilderte Janusz Kahl eindrucksvoll die Stunden der Befreiung, der Rettung aus dem KZ Wöbbelin:
„Und ich erinnere diesen Anblick, als sich aus der Ferne, das Tor öffnete und ein Fahrzeug mit zwei amerikanischen Soldaten erschien. Es ist nicht verwunderlich, dass sie uns vorkamen wie Ankömmlinge aus einer anderen Welt, vielleicht Engel, […] Bei diesem Anblick habe ich mich mit meinem Freund fest umarmt und unsere Tränen flossen in Strömen. Endlich endete für uns die Zeit des Hungers, der Erniedrigung und des Terrors und wir haben diesen Augenblick erlebt!“
Auch Bildungsminister Mathias Brodkorb und Landrat Rolf Christiansen erinnerten in ihren Gedenkreden an das unfassbare Leid der Menschen und den Tag der Befreiung des KZ Wöbbelin, der ein Tag der Befreiung von der nationalsozialistischen Diktatur war. Beide bekannten sich zur stärkeren Gedenkstättenförderung im Land. Sie betonten, dass Gedenkstätten Orte der politischen Bildung und Demokratieerziehung sind und dass die Zukunft nur gestaltet werden kann, wenn wir uns mit der Vergangenheit auseinandersetzen. >p>Der spontane Redebeitrag von Henry Tovey aus den USA, Überlebender des KZ Wöbbelin, unterstrich die besondere Bedeutung des Tages der Befreiung.
Es waren außergewöhnliche Tage des Gedenkens, des Erinnern und der Begegnungen, weil anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung über 150 Familienangehörige aus den Niederlanden, Frankreich, Belgien, Polen, Israel und den USA der 2., 3. und 4. Generation gehörten.
Die Internationale Begegnung der Generationen wurde unterstützt durch die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, die Rosa-Luxemburg-Stiftung, den Landkreis Ludwigslust-Parchim, die Sparkasse Parchim-Lübz, die Stadt Ludwigslust und die Landeszentrale für politische Bildung M-V.